Sieben Jahre war er gegen seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Jetzt darf er gehen – und weiß gar nicht, wohin.
© David Ebener/dpa
"Er war sehr überrascht und freut sich natürlich sehr", sagt Gustl Mollaths Anwalt Gerhard Strate am Telefon. "Aber er ist nicht ganz glücklich, dass er jetzt so rausgekickt wird." Siebeneinhalb Jahre war Gustl gegen seinen Willen in einem psychiatrischen Haftkrankenhaus untergebracht. Ganz plötzlich, an diesem heißen Sommertag, ist das nun vorbei. Das Oberlandesgericht Nürnberg kündigt an, das Strafverfahren gegen den 56-Jährigen neu aufzurollen und Mollath freizulassen.
Doch der Freigelassene hat keinen Wohnsitz mehr außer das von ihm so ungeliebte Bezirkskrankenhaus in Bayreuth. Als um 12 Uhr die überraschende Nachricht vom Oberlandesgericht kommt, muss der 56-Jährige sein Zimmer räumen. Am späten Nachmittag erwarten ihn sein alter Schulfreund und andere Unterstützer vor dem Klinik-Tor mit einem Transporter. Für eine Übernachtungsstätte ist gesorgt, sagen sie. Wo er die erste Nacht in Freiheit verbringen wird, wisse er jedoch nicht, sagt Mollath den anwesenden Journalisten.
Gustl Mollath war in den vergangenen Monaten zum berühmtesten Psychiatrieinsassen Deutschlands geworden – und für viele ein Beispiel fürvermeintliche Klüngelei in der bayerischen Justiz. Mit seiner baldigen Freilassung hatte aber niemand gerechnet. Vor dem Landgericht Regensburg war der Antrag von Mollaths Anwalt, das Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung neu aufzurollen, Ende Juli abgeschmettert worden. Die Fehler, die in dem Verfahren passiert seien, seien zu klein, um eine Wiederaufnahme zu rechtfertigen, hieß es damals.
Ruhig, freundlich, beherrscht – und gefährlich?
Tatsächlich ist es so, dass es in Deutschland nur in äußerst seltenen Fällen zur Wiederaufnahme von Strafverfahren kommt. Doch mit dem Oberlandesgericht Nürnberg entschied nun die nächsthöhere juristische Instanz, den vielen Zweifeln an Mollaths Schuld und psychischer Krankheit nachzukommen – und neu über die Vorwürfe gegen den Nürnberger aus dem Jahr 2006 entscheiden zu lassen. Erstaunlich war, wie schnell es nun ging: In Regensburg hatte man vier Monate lang über 113 Seiten Begründungsschrift gebrütet. Nürnberg entschied binnen zwei Wochen. Vielleicht auch, um dem Bundesverfassungsgericht zuvorzukommen, dem ebenfalls eine Beschwerde Mollaths gegen seine psychiatrische Unterbringung vorlag.
Ruhig, freundlich und zuvorkommend, klar argumentierend und sehr beherrscht – so schildern viele, die Mollath kennenlernten, den bis heute angeblich gemeingefährlichen Mann. Auch als er vom Landtags-Untersuchungsausschuss in eigener Sache gehört wurde erhielt er fraktionsübergreifend Anerkennung. Dochsein unauffälliges Auftreten kann die Frage danach, wer Gustl Mollath eigentlich ist, nicht seriös und abschließend beantworten.
Ist er nicht doch gemeingefährlich und gehört psychiatrisch untergebracht, wie die Richter bislang glaubten? War er in der Phase des Scheidungskrieges mit seiner Ehefrau Anfang 2000 vielleicht wirklich psychotisch und gefährlich, ist heute aber harmlos und daher seiner Freiheit lange Jahre rechtswidrig beraubt worden? Oder hatte er nie ein psychiatrisches Problem und wurde weggesperrt, weil er unangenehme Informationen über Schwarzgeld-Geschäfte öffentlich machen wollte – eine feste Überzeugung, die viele seiner Unterstützer haben?
Viele Versionen einer Geschichte
Klar ist nur: Es gibt viele verschiedene Versionen dieser Geschichte des Reifenhändlers und Autotüftlers Gustl Mollath und seiner Exfrau Petra M. (geschiedene Mollath), der einstigen Vermögensberaterin der Hypovereinsbank, die heute als Geistheilerin tätig ist. Fakt ist: Petra M. hat als Angestellte der Nürnberger Hypo-Vereinsbank in den 1990er Jahren in irgendeiner Form Steuerhinterziehung in die Schweiz befördert. Ihr Exehemann wiederum spricht von riesigen "Schwarzgeldverschiebungen". "Sie wurde immer dreister", so erzählt Gustl Mollath bis heute die Geschichte. Er habe auf sie eingeredet, damit aufzuhören – "ich habe meine Frau geliebt, ich wollte sie schützen."
Als die Ehe geschieden war, zeigte Mollath seine Frau an, die Bank und weitere Mitarbeiter auch. Nannte Namen, Daten, Kontonummern. Schickte die Papiere, gespickt mit vielen Zusätzen, Ausrufezeichen und Polemiken an die Staatsanwaltschaft, die Steuerfahndung, die Bank selbst und an viele Politiker. Keiner glaubte ihm, keiner prüfte nach.
0 comentarios:
Post a Comment